Rückblick auf die kräftigen Gewitter vom 19. Juni 2021

Am Abend des Samstags, 19. Juni 2021, war das Großherzogtum Luxemburg während mehreren Stunden von Gewittern betroffen. Einige dieser Gewitter erwiesen sich mancherorts als Unwetter, insbesondere in Bezug auf Wind und Hagel. MeteoLux hatte für den späteren Abend des 19. Juni 2021 eine Warnung vor starken Gewittern mit der Warnstufe Orange herausgegeben. Ziel dieses Artikels ist es, die atmosphärischen Bedingungen, welche die kräftigen Gewitter verursachten, zu untersuchen und eine Übersicht der stattgefundenen Gewitteraktivität zu geben. Darüber hinaus werden damit in Zusammenhang stehende Hagelbeobachtungen analysiert und die vorläufige Bilanz der Tornadoaktivität in Frankreich und Belgien präsentiert.

Großwetterlage

Die synoptische Wetterlage in den bodennahen Luftschichten wurde durch eine von West nach Ost verlaufende Tiefdruckrinne geprägt, die sich von Mittelfrankreich in Richtung Benelux verlagerte (Abb. 1a). In dieser Rinne konnte sich ein schwacher Tiefdruckkern entwickeln, der gegen 20:00 Uhr Ortszeit über Nordfrankreich zentriert war (Abb. 1a). Die in dieser Tiefdruckrinne eingelagerten Zonen mit Windkonvergenz lösten Gewitter in einer sehr feuchten Luftmasse subtropischer Herkunft aus, die mit einer südlichen Strömung in unsere Regionen gebracht worden war. Die Werte des ausfällbaren Niederschlagswassers lagen zwischen 35 und 50 mm (Abb. 1a). In der Höhe herrschte eine stark ausgeprägte Dynamik mit einem kurzwelligen Trog, der sich von der Biskaya über Nordwestfrankreich in Richtung Ärmelkanal bewegte (Abb. 1b). Über Frankreich war ein Jetstream präsent, der sich von Ostspanien in Richtung Nordsee erstreckte, mit Höchstgeschwindigkeiten um 200 km/h. Da sich dieser Jetstream in der Nähe unserer Region befand, war über Luxemburg eine starke Windscherung mit einem Geschwindigkeitsunterschied von rund 70 km/h zwischen dem Boden und 6 km Höhe vorhanden (Abb. 1c). Zusätzlich wurde der Nordost- bis Südostwind am Boden von der südlichen Höhenströmung überlagert, was eine starke Helizität in den untersten Atmosphärenschichten erzeugte (Abb. 1c). In Kombination mit einer starken Labilität (CAPE zwischen 1000 und 2000 J/kg, siehe Abb. 1c) war das Risiko unwetterartiger Gewitterphänomene entsprechend erhöht.

Abbildung 1: Analyse der Großwetterlage am 19. Juni 2021 um 20:00 Uhr Ortszeit. a) Auf Meeresniveau reduzierter Luftdruck (weiße Linien; in hPa), Wind in 10 m Höhe (rote Pfeile; in Knoten, 1 Knoten = 1,852 km/h) und ausfällbares Niederschlagswasser (in mm). b) Geopotenzielle Höhe der 500 hPa-Druckfläche (schwarze Linien) und Windgeschwindigkeit auf der 300 hPa-Druckfläche (in m/s, 1 m/s = 3,6 km/h). Die blauen Pfeile zeigen die Richtung und Geschwindigkeit des Windes auf der 300 hPa-Druckfläche (in Knoten). c) Ein Vertikalprofil der Atmosphäre über Luxemburg am 19. Juni 2021 um 20:00 Uhr Ortszeit, basierend auf den Modelldaten der ERA5-Reanalyse. Die rote/grüne Linie zeigt die Änderung der Temperatur/des Taupunkts mit der Höhe, die gelbe Linie zeigt die Aufstiegstrajektorie eines bodennahen Luftpakets und die vorhandene CAPE (Convective Available Potential Energy) ist durch die transparent gelb gefärbte Fläche dargestellt. Die schwarzen Pfeile zeigen die Richtung und Geschwindigkeit des Windes (in Knoten). Datenquelle: ERA5 (ECMWF/Copernicus).

Entwicklung der Gewitteraktivität

Ab 19:30 Uhr Ortszeit entwickelten sich die ersten Gewitterzellen über dem Südwesten des Landes und dem Norden Lothringens (Abb. 2, links). Diese bewegten sich schnell nach Norden, während sie sich intensivierten. Ein kräftiges und gut organisiertes Gewitter erreichte Esch/Alzette gegen 20:25 Uhr Ortszeit und produzierte anschließend orkanartige Gewitterfallböen. Die Wetterstationen in Clemency und Steinfort, betrieben von der Kachelmann Group, registrierten zwischen 20:40 Uhr und 21:00 Uhr Ortszeit Windspitzen von 109 km/h bzw. 104 km/h. Im Norden des Landes zogen zwischen 20:15 Uhr und 21:50 Uhr Ortszeit mehrere recht intensive Gewitterzellen über die Westhälfte des Öslings (Abb. 2, links). Die Wetterstation in Schimpach, betrieben vom Wetterdienst der ASTA (AgriMeteo), verzeichnete zwischen 20:20 Uhr und 21:10 Uhr Ortszeit einen kumulierten Niederschlag von 31,3 l/m². Nach der allmählichen Verlagerung dieser ersten Gewitteroffensive in Richtung Belgien und Deutschland bis 22:00 Uhr Ortszeit wurden ab 22:15 Uhr Ortszeit neue Gewitterzellen über dem Land und Nordlothringen ausgelöst (Abb. 2, links). In den Kantonen von Capellen, Redange und Mersch ereignete sich zwischen 22:45 und 23:10 Uhr Ortszeit ein markantes Hagelgewitter (Details dazu im nächsten Absatz). Schließlich wurden am 19. Juni 2021 zwischen 18:00 Uhr und 24:00 Uhr Ortszeit mehr als 10.000 Blitze über Luxemburg und den Grenzregionen beobachtet, die meisten davon innerhalb von Wolken (rund 95 %). Die höchste Blitzdichte wurde in den südwestlichen und nordwestlichen Regionen des Großherzogtums beobachtet (Abb. 2, rechts).

























Abbildung 2: (Links) Animation der Niederschlagsradarbilder (Reflektivität in dBZ) vom 19. Juni 2021 von 19:00 bis 24:00 Uhr Ortszeit. Datenquelle: Niederschlagsradar des DWD in Neuheilenbach (Deutschland). (Rechts) Dichte der Erd- und Wolkenblitze vom 19. Juni 2021 18:00 Uhr Ortszeit bis 20. Juni 2021 01:59 Uhr Ortszeit. Die Berechnung der Blitzdichte basiert auf einem Gitternetz von 0.025° x 0.025°. Datenquelle: Belgian Lightning Location System (BELLS) des Belgischen Wetterdienstes IRM.

Beobachtungen von Großhagel

Während der zweiten Gewitterwelle ab 22:30 Uhr Ortszeit wurden zwischen etwa 22:45 Uhr und 23:10 Uhr Ortszeit an mehreren Orten im westlichen Zentrum des Landes große Hagelkörner mit einem maximalen Durchmesser von 5 bis 7 cm beobachtet und durch auf Facebook online gestellte Fotos dokumentiert, beispielsweise in Steinfort, Kleinbettingen, Buschdorf, Useldingen und Böwingen/Attert (vgl. Abb. 3b). Die Gewitterzelle, die diese großen Hagelkörner verursachte, entwickelte sich sehr schnell südlich von Longwy gegen 22:15 Uhr Ortszeit und bewegte sich dann nach Nord-Nordosten, wobei sie vorübergehend Eigenschaften einer Superzelle annahm (Abb. 3a). Zwischen 22:15 und 22:35 Uhr Ortszeit nahm der vertikal integrierte Flüssigwassergehalt der Zelle kontinuierlich zu und erreichte sehr hohe Werte um 40 mm, mit einem Höchstwert nahe 50 mm um 22:50 Uhr Ortszeit (Abb. 3b). Die Reflektivität hatte zu der Zeit über die gesamte vertikale Säule ein Maximum von 65 dBZ erreicht (Abb. 3a). Die Verstärkungsphase der Gewitterzelle war somit im Vergleich zu den markanten Hagelschauern zeitlich verschoben. Daher fand die Wachstumsphase der großen Hagelkörner wahrscheinlich zwischen 22:15 Uhr und 22:45 Uhr Ortszeit statt, bei einer gleichzeitig vorhandenen großen Menge an flüssigem und unterkühltem Wasser und einem starken, zeitweise rotierenden Aufwind in der Gewitterzelle. Zudem ging dem Einsetzen der Hagelschauer gegen 22:45 Uhr Ortszeit ein „lightning jump“ voraus, ein sehr plötzlicher Anstieg der Anzahl der Blitze.

Abbildung 3: a) Niederschlagsradarbild (maximale Reflektivität in dBZ) vom 19. Juni 2021 gegen 22:49 Uhr Ortszeit. b) Bild des vertikal integrierten Flüssigwassers (in mm) vom 19. Juni 2021 um 22:49 Uhr Ortszeit. Datenquelle: Niederschlagsradar des DWD in Neuheilenbach (Deutschland).

Tornados in Frankreich und Belgien

Mindestens acht Tornados ereigneten sich während dieser Gewitterlage in Frankreich und Ostbelgien (Abb. 4). Die atmosphärischen Bedingungen für die Tornadogenese schienen in einem Korridor, der sich von Mittel- über Westfrankreich bis zu den belgischen Ardennen erstreckt, besonders günstig gewesen zu sein (Abb. 4). Somit war ausreichend Labilität, eine starke Änderung der Windgeschwindigkeit und -richtung mit der Höhe und eine hohe relative Luftfeuchtigkeit in den untersten Atmosphärenschichten vorhanden. Die Tornados entstanden im Zusammenhang mit Superzellengewittern (Gewitterart, die einen beständig und hochreichend rotierenden Aufwind besitzt, der als Mesozyklone bezeichnet wird). Es sei darauf hingewiesen, dass die Vorhersagen der numerischen Wettermodelle für den Abend des 19. Juni 2021 eindeutig förderliche Bedingungen für die Bildung von Tornados über der westlichen Hälfte der Großregion angedeutet hatten.

Abbildung 4: Bestätigte Tornados (rote Symbole), die am 19. Juni 2021 aufgetreten sind (Stand: 28. Juni 2021). Die Intensität F2 entspricht maximalen Windgeschwindigkeiten von 180 bis 250 km/h. Quelle: European Severe Weather Database.