In der Nacht auf Donnerstag, den 21. Oktober 2021, und am darauffolgenden Morgen sorgte ein Tiefdruckgebiet, welches den Namen „Aurore“ von Météo-France vergeben bekam („Hendrik II“ in Deutschland; Abb. 1), für sehr starke Windböen in der Großregion. Am Flughafen Luxemburg-Findel wurde an der von MeteoLux betriebenen Wetterstation während des Sturms eine Windspitze von 88,9 km/h gemessen. Die meisten Stationen der Messnetze der Verwaltung der technischen Dienststellen für Landwirtschaft (ASTA) und der Kachelmann Group (KG) verzeichneten Windböen zwischen 70 und 90 km/h (Abb. 2). Böen oberhalb 90 km/h wurden auch im Großherzogtum beobachtet, allerdings nur vereinzelt und vorübergehend (Abb. 2). MeteoLux veröffentlichte am 20. Oktober 2021 gegen 07:00 Uhr Ortszeit zunächst eine gelbe Warnung, gefolgt von einer Erhöhung der Alarmstufe (orangefarbene Warnung) gegen 14:00 Uhr Ortszeit. Das großherzogliche Feuerwehr- und Rettungskorps (CGDIS) musste während dieser Sturmepisode 89 Mal ausrücken. Ziel dieses Artikels ist es, die Entstehung des Sturmtiefs und die physikalischen Prozesse, welche die stärksten Böen verursachten, kurz zu beschreiben.
Abbildung 2: Gemessene Windspitzen am 21. Oktober 2021 zwischen 00:00 und 09:00 Uhr Ortszeit. Quellen der Wetterstationsdaten: MeteoLux, ASTA, Kachelmann Group, Météo-France, Deutscher Wetterdienst, Institut Royal Météorologique de la Belgique.
Entwicklung des Sturmtiefs
Die synoptische Großwetterlage über Europa war durch einen umfangreichen Tiefdruckkomplex mit Kern über Skandinavien geprägt. An der Südwestflanke dieses Komplexes befand sich am 20. Oktober 2021 um ca. 17:00 Uhr Ortszeit ein Randtief („Aurore“) über der Keltischen See mit einem Druck von ca. 992 hPa. Gesteuert von einem kräftigen Jetstream, der sich vom Golf von Biskaya über Deutschland in den Westen Russlands erstreckte und maximale Windgeschwindigkeiten um 250 km/h aufzeigte, konnte sich das Sekundärtief während seiner Verlagerung nach Nordosten leicht verstärken (Abb. 3). Am 21. Oktober 2021 gegen 08:00 Uhr Ortszeit wurde im Zentrum des Tiefs über der Nordspitze Deutschlands ein Druck von etwa 980 hPa erreicht (Abb. 3d). Während dieser Intensivierungsphase des Tiefs wickelte sich die okkludierte Front um den Tiefdruckkern (eng. „back-bent occlusion“), was einen ausgeprägten Trog in Bodennähe und eine Verschärfung des horizontalen Druckgradienten verursachte (Abb. 3b-d). Es sei darauf hingewiesen, dass ein solcher Sturm ein klassisches Phänomen für die Herbst-/Wintersaison ist und in der Regel jedes Jahr in Luxemburg auftritt.
Abbildung 3: Bodenanalyse des Deutschen Wetterdienstes (DWD) vom a) 20. Oktober um 23:00 Uhr Ortszeit und vom 21. Oktober 2021 um b) 02:00 Uhr Ortszeit, c) 05:00 Uhr Ortszeit und d) 08:00 Uhr Ortszeit. Die schwarzen Linien zeigen die Isobaren (in hPa). Die Kalt- und Warmfronten sind blau bzw. rot eingefärbt. Die Okklusionsfront ist rosa eingefärbt. Der leicht transparent orangenfarbene Bereich in b), c) und d) zeigt die „cold jet“-Zone.
Welche Prozesse haben die stärksten Windböen verursacht?
Durchgang der Kaltfront
Die aktive Kaltfront des Sturmtiefs „Aurore“ hatte Luxemburg am 21. Oktober 2021 zwischen 01:15 und 02:30 Uhr Ortszeit überquert. Hoch aufgelöste Radardaten zeigten eine gut definierte Niederschlagsstruktur mit linearen Segmenten konvektiver Natur, die eine Reflektivität von mehr als 40 dBZ aufwiesen (Abb. 4). Das Risiko von heftigen Böen war während der Passage dieser konvektiven Zellen sehr hoch. Die Abwinde in diesen Zellen sind generell in der Lage Orkanwinde in der Höhe (1000-1500 m) in Richtung Boden zu "mischen", wenn die Luft darunter nicht zu stabil geschichtet ist. Im Großherzogtum wurde in Eschdorf (Station des Wetterdienstes der ASTA) die stärkste Böe im Zusammenhang mit dem Durchgang der Kaltfront beobachtet, nämlich 98 km/h zwischen 02:00 und 02:10 Uhr Ortszeit. Am Flughafen Luxemburg-Findel wurde um 02:10 Uhr Ortszeit eine Windspitze von 88,9 km/h gemessen. Punktuell überschritt die Windgeschwindigkeit die 110 km/h-Grenze in der Luxemburger Grenzregion, wie beispielsweise in Villette in Frankreich (127 km/h) oder in Trier in Deutschland (115 km/h) (siehe Abb. 2).
Abbildung 4: Animation der Niederschlagsradarbilder (Reflektivität in dBZ) vom 21. Oktober 2021 00:58 bis 02:58 Uhr Ortszeit. Datenquelle: DWD-Niederschlagsradar in Neuheilenbach (Deutschland).
Durchgang eines Bodentrogs in Verbindung mit der „herumgeholten“ Okklusion
Das zweite Intensitätsmaximum des Bodenwindes zwischen ungefähr 05:00 und 08:00 Uhr Ortszeit war mit einem Bodentrog verbunden, der mit der „herumgeholten“ Okklusionsfront zusammenhing (Abb. 3d). In bodennahen Atmosphärenschichten über Nordfrankreich konnte sich vorderseitig der Bodentrogachse ein starker Druckunterschied entwickeln, der zwischen 600 und 700 m Höhe Windgeschwindigkeiten bis etwa 120 km/h erzeugte (vgl. Abb. 3c mit Abb. 5). Diese Zone des sogenannten „kalten Jets“ (eng. « cold jet », vgl. Hewson et al. 2015) verlagerte sich anschließend ostwärts und streifte die südliche Hälfte Luxemburgs (Abb. 3d). Aufgrund einer gut durchmischten nächtlichen atmosphärischen Grenzschicht (starke Turbulenzen) konnte sich dieser „kalte Jet“ mit Böen zwischen 100 und 115 km/h über dem Saarland und in weiten Teilen von Nordostfrankreich am Boden bemerkbar machen (Abb. 2). Im Großherzogtum wurde die eine oder andere Böe zwischen 90 und 95 km/h beobachtet, insbesondere in Bettemburg, Steinfort und Konsdorf (3 Stationen der KG). Die Wetterstation am Findel hatte zwischen 06:00 und 07:00 Uhr Ortszeit erneut eine Windspitze von 88,9 km/h gemessen.
Abbildung 5: Vorhersage des Windes auf der 925 hPa-Fläche für den 21. Oktober 2021 um 05:00 Uhr Ortszeit, berechnet vom numerischen Wettermodell des Europäischen Zentrums für mittelfristige Wettervorhersagen (EZMW), das am 21. Oktober 2021 um 02:00 Uhr Ortszeit initialisiert wurde. Quelle: EZMW.