Rückblick auf die lokal unwetterartigen Gewitter vom 4. Juni 2021

Am späten Nachmittag und am Abend des Freitags, 4. Juni 2021, wurden über Luxemburg mehrere Gewitterherde ausgelöst. Einige dieser Gewitter erwiesen sich mancherorts als Unwetter, insbesondere durch ergiebige Niederschlagsmengen, die zu erheblichen Überschwemmungen führten. Das großherzogliche Feuerwehr- und Rettungskorps (CGDIS) musste während dieser Gewitterepisode 344 Mal ausrücken. Ziel dieses Artikels ist es, die atmosphärischen Bedingungen, welche die lokal schweren Gewitter verursachten, zu untersuchen und eine Übersicht der stattgefundenen Gewitteraktivität zu geben. Darüber hinaus wird die Niederschlagsverteilung analysiert und örtliche Windphänomene werden diskutiert.

Ankunft eines Multizellengewitters am Flughafen Luxemburg-Findel am 4. Juni 2021 gegen 18:30 Uhr Ortszeit. Urheber des Bildes: Laurent Grof (Quelle).

Großwetterlage

Die synoptische Wetterlage in den bodennahen Luftschichten über Mitteleuropa wurde durch sehr schwache Luftdruckgegensätze mit Tendenz zu leichtem Druckabfall geprägt. Dabei war eine Luftmasse subtropischen Ursprungs vorherrschend, die in den Tagen zuvor mit südlicher Strömung in unsere Regionen gebracht worden war. Über Westfrankreich und der Nordsee befand sich eine schwache, wellende Kaltfront (Abb. 1a). Vorderseitig dieser Front bewegte sich am frühen Nachmittag des 4. Juni 2021 eine Konvergenzlinie, die sich vom Zentralmassiv nach Belgien erstreckte, langsam in Richtung Luxemburg (Abb. 1a) und löste in der stark labil geschichteten Luftmasse die Bildung von Gewitterzellen aus (CAPE um 800 bis 1000 J/kg, lokal sogar bis 1400 J/kg). In höheren Atmosphärenschichten war eine wenig dynamische und ziemlich schwache Süd- bis Südwestströmung mit maximalen Windgeschwindigkeiten um 30 km/h vorhanden (Abb. 1b).

Abbildung 1: a) Bodenanalyse des Deutschen Wetterdienstes (DWD) vom 4. Juni 2021 um 14:00 Uhr Ortszeit. Die schwarzen Linien zeigen die Isobaren (in hPa) und die orangefarbenen Linien zeigen die Windkonvergenzzonen in Bodennähe. b) Ein Vertikalprofil der Atmosphäre am 4. Juni 2021 um 14:00 Uhr Ortszeit gemessen vom Radiosondenaufstieg in Idar-Oberstein (ca. 60 km östlich von Luxemburg). Dieses Profil wird in diesem Fall als repräsentativ für die atmosphärischen Bedingungen in Luxemburg angesehen. Die rote/grüne Linie zeigt die Temperatur/den Taupunkt, die gelbe Linie zeigt die Aufstiegstrajektorie eines bodennahen Luftpakets und die vorhandene CAPE (Convective Available Potential Energy) ist durch die transparent gelb gefärbte Fläche dargestellt. Die schwarzen Pfeile zeigen die Richtung und Geschwindigkeit des Windes (in Knoten; 1 Knoten = 1,852 km/h).

Entwicklung der Gewitteraktivität

Die ersten Gewitterzellen im Zusammenhang mit der Konvergenzlinie näherten sich gegen 15:50 Uhr Ortszeit der Westgrenze des Landes und bewegten sich langsam nach Nord-Nordost. Vor diesen Zellen entwickelten sich über dem Ösling neue Gewitter (Abb. 2, links). Gleichzeitig wurden über Thionville Gewitterzellen ausgelöst. Zwischen diesen beiden Gewitterherden entwickelten sich mehrere isolierte Konvektionszellen, die über dem Süden des Landes bis 16:40 Uhr Ortszeit schnell zusammengewachsen sind (Abb. 2, links). So waren über Luxemburg-Stadt und in den Regionen Kischpelt, Clervaux und Hosingen zwischen ca. 16:30 Uhr und 17:15 Uhr Ortszeit heftige Multizellengewitter aktiv. Diese Gewitter waren durch sehr starke Reflektivitäten mit ziemlich großer vertikaler Ausdehnung gekennzeichnet, was sich in hohen Werten (30 bis 40 mm) an vertikal integriertem Flüssigwasser (engl. vertically integrated liquid; Abb. 2, rechts) widerspiegelte. Darüber hinaus wurde in diesen beiden Gewittersystemen über dem Kanton Luxemburg und Clervaux eine sehr starke elektrische Aktivität mit einem Maximum von rund 300 Blitzen (Erd- und Wolkenblitze) in 5 Minuten beobachtet (Abb. 3).























Abbildung 2: Animation der Niederschlagsradarbilder (Reflektivität in dBZ) vom 4. Juni 2021 von 14:38 bis 19:38 Uhr Ortszeit (links). Bild des vertikal integrierten Flüssigwassers (in mm) vom 4. Juni 2021 um 16:49 Uhr Ortszeit (rechts). Datenquelle: Niederschlagsradar des DWD in Neuheilenbach (Deutschland).


Nach der schrittweisen Verlagerung dieser ersten Gewitteroffensive in Richtung Deutschland bis 17:30 Uhr Ortszeit wurden ab 17:00 Uhr Ortszeit neue Konvektionszellen über dem Südwesten des Landes ausgelöst (Abb. 2, links). Diese Entwicklungen hatten eine leicht retrograde Tendenz, d.h. einige Orte (z. B. Reckingen-Mess und Differdingen) wurden wiederholt von Starkregenzellen getroffen. Gegen 18:10 Uhr Ortszeit zog ein recht intensives mehrzelliges Gewitter von Lothringen auf, überquerte bis 19:15 Uhr Ortszeit die südöstliche Hälfte des Landes (Abb. 2, links) und verursachte stellenweise sehr starke Windböen. Örtlich wurde während der ersten und zweiten Gewitteroffensive Hagel mit einem Durchmesser von etwa 1 cm beobachtet, beispielsweise in Frisingen und Konsdorf. Schließlich wurden zwischen 14:30 Uhr und 20:30 Uhr Ortszeit mehr als 15.000 Blitze über Luxemburg und den Grenzregionen beobachtet, die meisten davon innerhalb der Wolken (ca. 90 bis 95 %; vgl. Abb.3).

Abbildung 3: Animation der Erdblitze (Quadrate und Kreise) und Wolkenblitze (Dreiecke) vom 4. Juni 2021 von 14:30 bis 20:30 Uhr Ortszeit. Farblegende: violett (14:30 - 15:30 Uhr Ortszeit), dunkelblau (15:30 - 16:30 Uhr Ortszeit), hellblau (16:30 - 17:30 Uhr Ortszeit), grün (17:30 - 18:30 Uhr Ortszeit), gelb (18:30 - 19:30 Uhr Ortszeit), rot (19:30 - 20:30 Uhr Ortszeit). Datenquelle: EUCLID via Siemens BLIDS.

Starkregenereignisse

Viele Regionen waren von sintflutartigen Regenfällen betroffen, insbesondere in den Kantonen Esch-Alzette, Clervaux und Luxemburg. An mehreren Stationen der Messnetze des Wetterdienstes der Verwaltung der technischen Dienststellen für Landwirtschaft (ASTA) und der Kachelmann Group (KG) wurden Niederschlagsmengen von über 25 l/m² pro Stunde gemessen. Die Wetterstation in Oberkorn, betrieben vom ASTA-Wetterdienst (AgriMeteo), hatte zwischen 17:40 Uhr und 18:30 Uhr Ortszeit eine Regenmenge von 40,4 l/m² gemessen (Abb. 4). Im Zentrum der Stadt Luxemburg fielen 18,6 l/m² in nur 10 Minuten (16:50 bis 17:00 Uhr Ortszeit), die von der nahe der Stiftung Pescatore gelegenen meteorologischen Station (betrieben von der Kachelmann Group) gemessen wurden (Abb. 4). Am Flughafen Luxemburg-Findel verzeichnete MeteoLux während des Durchgangs eines mehrzelligen Gewitters zwischen 18:30 und 18:50 Uhr Ortszeit eine Niederschlagsmenge von 11,0 l/m² in 10 Minuten. Das RADOLAN-System des Deutschen Wetterdienstes (DWD) hat die akkumulierten Niederschläge meist unterschätzt im Vergleich mit den von den Wetterstationen gemessenen Mengen, dies vor allem im Süden des Landes (Abb. 4). Hauptursache für diese Unterschätzung ist die Dämpfung des Radarstrahls durch den Starkregen. Im Allgemeinen waren diese extremen Niederschläge auf einen hohen Feuchtegehalt der Atmosphäre (Gehalt an ausfällbarem Niederschlagswasser zwischen 30 und 35 mm, relative Luftfeuchtigkeit > 60% unterhalb 3 km Höhe), schwache Höhenwinde (durchschnittlich etwa 20 km/h zwischen dem Boden und 6 km Höhe) und auf die moderat bis stark ausgeprägte Labilität zurückzuführen (siehe Abb. 1b).

Abbildung 4: Aufsummierte Niederschlagsmengen (in mm oder l/m²) am 4. Juni 2021 von 15:50 bis 19:50 Uhr Ortszeit. Datenquellen: RADOLAN (DWD), AgriMeteo, Kachelmann Group.

Windphänomene

Eine erste Beobachtung eines möglichen Windphänomens wurde in der Nähe der Region Hosingen im Norden des Landes gemacht (siehe Video, das eine relativ schnelle und turbulente Bewegung von Wolkenfetzen zeigt). Die Natur dieses Phänomens kann zu diesem Zeitpunkt aufgrund fehlender Schäden am Boden und ausreichend klarem audiovisuellem Material nicht zu 100 % identifiziert werden. Radarbilder von 16:45 Uhr bis 16:50 Uhr Ortszeit zeigen jedoch ein Gebiet mit starker azimutaler Windscherung (hellblauer Kreis in Abb. 5b und 5c), was auf eine schwache Rotation um 900 bis 1500 m Höhe hindeuten könnte. Der Ursprung dieser kurzen, sehr isolierten Rotation in geringer Höhe über Hosingen ist wahrscheinlich die Kollision zweier vorauslaufenden Böenfronten (engl. outflow boundaries; dünne Linien mit sehr geringer Reflektivität in Abb. 5a), die eine aus Südwesten und die andere von Norden her. Abschließend bleiben wir bei einem Verdachtsfall eines Böenfrontwirbels (engl. gustnado). Es sei auch darauf hingewiesen, dass die atmosphärischen Bedingungen (geringe Helizität und schwache Windscherung, siehe Abb. 1b) für die Bildung eines "klassischen" oder mesozyklonalen Tornados in Verbindung mit einem Superzellengewitter an diesem Tag in Luxemburg absolut nicht förderlich waren.
Im Süden des Landes traten am frühen Abend unter einem etwas besser organisierten mehrzelligen Gewitter orkanartige Fallböen auf. Die Wetterstation in Bettemburg, betrieben von der Kachelmann Group, hatte zwischen 18:10 Uhr und 18:20 Uhr Ortszeit eine Spitzenböe von 111,2 km/h gemessen. Am Flughafen Luxemburg-Findel verzeichnete MeteoLux während des Durchgangs dieser Multizelle eine maximale Böe von 70,2 km/h.

Abbildung 5: a) Niederschlagsradarbild (Reflektivität in dBZ) vom 4. Juni 2021 um 16:18 Uhr Ortszeit. b) Niederschlagsradarbild (Reflektivität in dBZ) vom 4. Juni 2021 um 16:48 Uhr Ortszeit. c) Niederschlagsradarbild (Radialgeschwindigkeit in m/s; die positiven Werte zeigen eine Bewegung vom Radarstandort weg und die negativen Werte eine Bewegung zum Radarstandort hin) vom 4. Juni 2021 um 16:48 Uhr Ortszeit. Der Radarstandort ist durch einen roten Punkt markiert. Datenquelle: Niederschlagsradar des DWD in Neuheilenbach (Deutschland).